Die Gemeinwohl-Bilanz als Tool für regeneratives Wirtschaften
Teil 2 – Die Gemeinwohl-Matrix für Unternehmen
Während es in Teil 1 der Kurzserie um das Zusammenspiel Regenerativ und Gemeinwohl-Bewegung ging, soll dieser zweite Teil nun auf die Inhalte der Gemeinwohlmatrix für Unternehmen blicken. Es geht damit um die Frage, in wie weit eine Gemeinwohlbilanz ein Unternehmen dabei unterstützen kann die eigene Transformation zu gestalten. Grundlage des Artikels ist ein Workshop mit mehreren Gemeinwohl-Berater*innen im Rahmen des Vernetzungstreffens 2022 im DACH-Raum. In diesem Workshop wurde die Gemeinwohlmatrix gegen 8 (im Vergleich zum ersten Teil der Blogserie anders formulierten) Prinzipien regenerativen Wirtschaftens verglichen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für den Input an alle Teilnehmenden.
1. Lebensbejahend, in allem was wir tun
Nicht umsonst ist Menschenwürde ein zentraler Wert. Unternehmen müssen sich bzgl. aller Ihrer Stakeholder damit auseinandersetzen, wie diese Würde gestärkt werden kann. Was also den Menschen angeht kann lebensbejahend im wirtschaftlichen Kontext sicherlich bestätigt werden. Die Matrix fordert z.B. in E3 Unternehmen dazu auf Verantwortung für die Mitwelt zu übernehmen. Dies wird bei Regenerativer Führung im Begriff Stewardship verbalisiert.
Dennoch, nicht-menschliches Leben ist in der Matrix und den meisten Gemeinwohlbilanzen erst einmal unterrepräsentiert und es obliegt dem einzelnen Unternehmen seine regenerativen Denk- und Handlungsweisen themenorientiert zu beschreiben. Die Gemeinwohl-Matrix definiert die Pflicht, gibt regenerativen Unternehmen aber ausreichend Raum auch Ihre Kür zu zeigen.
2. Teil eines vernetzen, voneinander abhängigen Lebensnetzes
Liest man die Bücher „Gemeinwohl-Ökonomie“ und „Die Innere Stimme“ dann ist dieses Prinzip klar erfüllt. Die Matrix teilt dieses Lebensnetz für das einfachere Handling in zwanzig Themenfelder, da besteht die Gefahr, dass die Abhängigkeit verloren gehen kann. In der Praxis passiert das selten.
Einerseits schafft das Nachhaltigkeitsbild der Nested Circles immer wieder die Verbindung in die Mitwelt. Andererseits erkennen die Unternehmen selbst immer wieder, das gewisse Themen Ihre Beinchen in unterschiedlichen Feldern haben und eine Veränderung an einer Stelle auch Auswirkungen an anderer hat.
3. Alles ist im ständigen Wandel, reaktions- und anpassungsfähig
Auch das dritte Prinzip ist sehr gut erfüllt. Die Gemeinwohl-Matrix ist einerseits selbst im Wandel. Die Version 6.0, welche die Anforderungen des European Sustainability Reporting Standards abdecken wird, integriert an vielen Stellen die Rückmeldungen der Berater:innen und Unternehmen aus den Bilanzprozessen. Die integrierte Organisationsentwicklung unterstützt den unternehmerischen Wandel zusätzlich.
Mit dem Ecogood Business Canvas steht ein Werkzeug für den Beginn des Unternehmenslebenszyklus zur Verfügung, mit der Matrix für dessen weiteren Lebensweg – zur Nutzung in kleinen Projekten bis hin zu ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbetrachtungen.
Die Bewertung der Matrix erlaubt zudem Unternehmen die Wirksamkeit Ihres Wandels zu messen, was dann wieder den Anstoß eines Regelkreises erlaubt.
Es bliebt abzuwarten, ob es die Begrifflichkeiten Regenerative Wirtschaft und Regenerative Führung in der Matrix 6.0 bereits in die vorbildlichen Bewertungsstufen schaffen. Hier hat die Matrix, wie auch schon die Bewegung, beim Thema schnelle Reaktionsfähigkeit noch Entwicklungspotenzial.
4. Beziehungen sind das was uns miteinander verbindet
Der Wert Transparenz und Mitentscheidung wird in der Außenkommunikation oftmals als Merkmal der demokratischen Grundhalten der Gemeinwohl-Ökonomie behandelt. In Bezug auf dieses 4. Prinzip ist es aber ein entscheidender Faktor. Ziel der fünf Matrixfelder ist eben gerade mit den Stakeholdern in Beziehung zu gehen und die typischerweise durch den Faktor Geld entkoppelte Verbindung zu überbrücken. Das in E4 Transparenz und Mitentscheidung im gesellschaftlichen Umfeld eine Anforderung ist der Natur eine Stimme zu geben und diese zu hören und zu berücksichtigen zeigt, dass die Gemeinwohl-Ökonomie das uns umgebende Ecosystem im Blick hat.
Das ist noch weit weg vom Verständnis regenerativer Verbindung, welche z.B. in indigenen Kulturen gelebt wird, im Vergleich zum heute verbreiteten Mainstream in der Wirtschaft aber ein großer Schritt. Es zeigt die Fähigkeit der GWÖ, Brücken aus dem heute in eine lebenswerte Zukunft zu bauen. Der regenerative Gedanke verstärkt diese Fokussierung und ermöglicht Entwicklungen über ein heutiges aus GWÖ Sicht vorbildliches Verhalten von Unternehmen.
5. Vielfalt fördert die Vitalität
Wenn Unternehmen im Matrixfeld C2 über die Diversität der Mitarbeitenden berichten, ist das eigene Erstaunen oftmals groß. Natürlich schätzen Unternehmerinnen und Unternehmer oftmals Diversität in der Belegschaft. Zu viele Studien gibt es, welche den Erfolgsfaktor Diversität hervorheben. In der Realität sieht das dann dennoch anders aus. Führungskräfte sind mehrfach männlich und andere Kulturen oder Religionen finden sich nur auf dem Shopfloor. Vielfalt im Management – Fehlanzeige. Durch den Ansatz möglichst Menschen ins Unternehmen zu holen, die zur Kultur passen wird aus Diversität menschliche Monokultur.
Regenerativ wirtschaftende Unternehmen setzen auf Vielfalt. Und wenn das, aus welchen Gründen auch immer, in der Belegschaft nicht klappt, werden andere Köpfe und Gedanken von Außen ins Unternehmen geholt. Da macht ein Ethikprofessor einen Workshop mit den Softwareentwicklern, ein Biologe spricht mit dem Vertrieb über Ökosysteme, Lieferanten, Marktbegleiter, NGOs werden eingeladen durch Ihre Perspektiven die Vielfalt zu erhöhen und den eigenen Mitarbeitenden neue Impulse und ein anderes Verständnis zu geben.
Eine solche Vielfalt findet sich anschließend wieder als umfangreiche Ergebnisse in E4 der Gemeinwohlmatrix. Das dieses Feld heute oftmals relativ wenig gefüllt ist zeigt, wieviel Potenzial in einer Umsetzung des regenerativen Gedankens für die Gemeinwohlbilanzierung steckt.
6. Das Leben ist zyklisch und rhythmisch
Frühling, Sommer, Herbst und Winter – Tag und Nacht. Leben und Sterben – wer regenerativ wirtschaften möchte, hat Zyklen im Blick. Nichts wächst unendlich, und wenn doch tötet es damit das eigene Ökosystem. Das beweisen uns Algenblüten und Krebsmetastasen leider immer häufiger.
Rhythmische Zyklen finden sich in Unternehmen an vielen Stellen, doch oftmals ist ihnen eins gemeinsam, Ruhe- und Reflexionsphasen sind nicht ausreichend vorhanden oder fehlen vollständig.
In der Berührungsgruppe C Mitarbeitende zeigt sich der Anspruch der GWÖ das zu ändern an mehreren Stellen. Wieviel Regeneration erlaubt die Unternehmenskultur? Wie werden Reflexionsmöglichkeiten geschaffen? Ist eine harmonische Work-Life-Balance in geringeren Wochenstunden institutionalisiert?
Nicht umsonst schneiden agile Organisationen oder Unternehmen, welche auf Soziokratie setzen besser ab. Diese Organisationsstrukturen setzen viel stärker als der mechanistische Ansatz auf Regelkreise.
Auch in der Konzernwelt zeigt sich bereits dass hier ein Wandel stattfinden darf und kann. Mit seinem Mindfulness Programm hat die SAP ein Angebot entwickelt, dass sich mittlerweile in andere Unternehmen ausbreitet.
7. Verstehen von Ort, Geschichte, Mensch, Kultur, Kontext
In der Einführung einer Gemeinwohlbilanz schreibt das Unternehmen oftmals etwas über seine Geschichte und vielleicht erläutert es auch Kontext, warum es gerade da steht, wo es steht. Aber ein Verstehen, gar ein Würdigen von Ort, Geschichte, Mensch oder Kultur. „Ich denke, also bin ich.“ Dieser Satz von Descartes prägt heute unser Denken.
Der Regenerative Gedanke fasst dieses Prinzip viel weiter. „Mit dieser Scholle Erde bin ich verbunden, also bin ich.“, passt trifft es womöglich ganz gut. Auf dieser Scholle stand mein Geburtshaus, lebten und arbeiteten meine Eltern, pflügten schon Vorväter und -mütter. Solche Gedanken finden sich – selbst bei Familienunternehmen – nur selten in einer Gemeinwohlbilanz.
Dabei trifft es dieser Ausspruch viel besser. Wie wir heute leben und wirken können, wie Unternehmen agieren können ist viel weniger abhängig davon, wie wir denken können, sondern was uns die Scholle in die Wiege gelegt hat.
Der regenerative Gedanke lädt uns dazu ein die Vergangenheit wieder stärker zu würdigen und gleichzeitig nachfolgenden Generationen auch eine fruchtbare Scholle zu hinterlassen. Allerdings nicht nur den eigenen, sondern allen.
8. Leben ist ein ständigen Kreislauf von Energie und Materie
Frank Widmayer beschreibt Regenerative Führung auf seiner Webseite wunderbar anhand dreier Prinzipien zum Umgang mit Energie. Und kommt von dort zu Selbstführung, Teamführung und gesellschaftlicher Verantwortung. Diese Perspektiven tauchen auch in der Gemeinwohlbilanz auf, allerdings mit einer leichten Schwäche bei der Ausprägung zu Selbstführung. Hier ist also noch Entwicklungspotenzial vorhanden.
Was den Materialkreislauf angeht, so taucht der Cradle2Cradle Gedanke in der Matrix bereits auf. In der aktuell in Arbeit befindlichen Matrix 6.0 wird diese Perspektive noch einmal deutlich ausgebaut. Mir fällt hier immer wieder auf, dass Kreislaufwirtschaft zu einfach gedacht wird und Unternehmen damit ehr das Thema Recycling perfektionieren. Das ist aber nur ein Aspekt der Kreislaufwirtschaft.
Vielmehr geht es darum, wie es Laura Strom in Ihrem Buch beschreibt aus „Abfall Nahrung zu machen“. Jede Form von Abfall kann dabei betrachtet werden. (Material, Wärme, Zeit). Dieser Gedanke stellt durch LEAN optimierte Unternehmen teilweise vor Herausforderungen. Den anstelle von Abfall grundsätzlich reduzieren und vermeiden geht es nun darum Prozess so zu gestalten, dass der entstehende Abfall in einen Kreislaufüberführt werden kann.
Fazit
Das Zusammenspiel von Gemeinwohl-Matrix und Regenerativen Konzepten läuft noch nicht rund. Wie bei einem sich neu entwickelndes Ökosystem auf einer Brachfläche, gibt es sowohl was Ziele, als auch was Bedürfnisse angeht Überdeckungen. Eine echte Kooperation der Gedanken gehen die Ansätze aber noch nicht ein. Beiden Ansätzen sind sich entwickelnde Rahmenwerke, die grundsätzlich sehr gut integrierbar sind. Die Regenerative Idee begreift Gemeinwohl umfassender und integriert Tier und Pflanzenwelt eines planetaren Ecosystems. Die Gemeinwohl-Ökonomie macht das nur in einigen der Matrixfelder und konzentriert sich ansonsten auf die menschlichen Beziehungen. Das ist weder überraschend, noch stellt es ein Problem dar. Denn wer sich um das Wohl des Planeten kümmert, integriert auch den Mensch. Und wer sich um den Menschen kümmert, kommt um das Wohl des Planeten nicht herum.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine regenerative Organisation, mit dynamischen Steuerkreisen und kontinuierlicher Entwicklung eine – recht langsame – Gemeinwohlbilanz braucht?
Aus meiner Perspektive heraus kann ich das klar mit „Ja“ beantworten.
- Regenerative Organisationen nutzen die Bilanz als lebendes Dokument und integrieren die Gemeinwohlperspektive damit in Ihre kurzen Veränderungs-Zyklen. Die Bilanz gedeiht damit über die Monate und mit der Bilanzierung wird die Ernte eingefahren
- Es macht Sinn in einem längeren Zyklus diese Ernte zu reflektieren und insbesondere die Frage zu stellen „Braucht es das noch?“ und „Was möchten wir angehen?“. Die Gemeinwohlbilanz ermöglicht das in einer sehr effektiven und strukturierten Form. Über die Bilanzen hinweg entstehen so Veränderungsgeschichten der Organisation, die auch neuen Mitarbeitenden den Einstieg erleichtern.
- „Tue Gutes und rede darüber.“ Dieser Buchtitel von Georg-Volkmar Zedtwitz-Arnim bezog sich auf Public Relations. Bei Veränderungen, die Wirtschaft und Gesellschaft umfasst und an vielen Stellen Sorgen und Ängste erzeugt ist die Gemeinwohlbilanz aber mehr als Marketing. Es ist die Verschriftlichung, dass ein anderes Wirtschaften und Wandel möglich ist. Das macht Mut und inspiriert andere sich auf den Weg zu machen. Nicht umsonst ist Transparenz ein zentraler Wert der Gemeinwohl-Ökonomie.
In diesem Sinne, machen auch Sie sich auf in Richtung regeneratives Wirtschaften und Gemeinwohl-Ökonomie. Ich freue mich auf unser Gespräch.
2 Antworten
Schöner Artikel! Und vielen Dank für die Erwähnung meiner Idee der „Regenerativen Führung“. Mein Artikel ist ja schon ein paar Jahre her, aber bei meiner Arbeit bestätigt sich immer wieder die hohe Relevanz der Selbstführung. Nur wer sich selber führen kann (und dabei auch mit den eigenen Ressourcen gut umgeht), kann dies auch in der Führung anderer und damit im Umgang mit deren Ressourcen. Selbstausbeutung führt auch immer zu Fremdausbeutung – übrigens gilt das umgekehrt nicht so eindeutig…
Lieber Herr Widmayer,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Authentischer Äußerer Wandel kommt von innerem Wandel. Da gibt es mittlerweile wenig Diskussion dazu. Ich fand Ihren Artikel dazu sehr charmant, weil er nicht aus der spirituellen Richtung kommt, sondern aus der Physik. Das macht es manchen Menschen vielleicht einfacher, sich der Idee zu nähern.
Freundliche Grüße
Matthias Rausch